Während der Recherchen zu ihrem Buch wurde deutlich, dass bisher noch keine historischen Aufarbeitungen zur Rolle von Beusch oder generell zum Leipziger Gesundheitsamt im NS existieren.
Die Geschichte des Leipziger Diakonissenhauses von seiner Gründung im Jahr 1891 bis zum Ende der DDR hat die Historikerin Fruzsina Müller detailliert erforscht, im November 2023 ist ihr Buch im Leipziger Universitätsverlag erschienen. Das Krankenhaus der evangelischen Schwesternschaft in Leipzig-Lindenau war seit seinem Bau 1900 eng mit der Stadtverwaltung verbunden, sowohl finanziell als auch personell. Laut Satzung saßen immer zwei städtische Vertreter im Vorstand der Institution und trugen mit ihren Stimmen zu grundlegenden Entscheidungen bei.
In ihrem Vortrag wird Fruzsina Müller ihren Fokus auf die Zeit des Nationalsozialismus legen, als Hans Beusch in seiner Funktion als Leiter des Gesundheitsamtes mit im Vorstand des Diakonissenhauses saß. Während der Recherchen zu ihrem Buch wurde deutlich, dass bisher noch keine historischen Aufarbeitungen zur Rolle von Beusch oder generell zum Leipziger Gesundheitsamt im NS existieren. Dabei war Beusch ein enger Verbündeter von Carl Friedrich Goerdeler, Oberbürgermeister der Stadt Leipzig von 1930 bis 1937, der heute als konservativer Widerstandskämpfer gegen den NS erinnert wird. Hans Beusch war kein NSDAP-Mitglied, seine Reform des städtischen Gesundheitssystems in Leipzig galt allerdings als mustergültig für die nationalsozialistische Umstrukturierung des Gesundheitswesens. Außerdem entwickelte er die sogenannte Erbgesundheitskartei, die später überall im Deutschen Reich eingesetzt wurde. Neben Beusch spielten auch andere Akteur:innen eine Rolle im nationalsozialistischen Gesundheitssystem der Stadt. Ärzte des Diakonissenhauses „betreuten“ beispielsweise auch Zwangsarbeiter:innen der Metallguss GmbH, eine Diakonisse assistierte bei Zwangssterilisierungen im Rochlitzer Stadtkrankenhaus, und das Diakonissenhaus übernahm die ärztliche und pflegerische Versorgung im enteigneten ehemaligen Israelitischen Krankenhaus (Eitingon-Stiftung). Diese bisher unbekannten Details der Leipziger Stadtgeschichte werden bei der Buchvorstellung schwerpunktmäßig thematisiert. Anschließend soll diskutiert werden, wie diese Puzzlestücke zu einer umfassenderen Geschichte des Leipziger Gesundheitssystems im Nationalsozialismus erweitert werden könnten.
Die Autorin Dr. Fruzsina Müller wurde 1981 in Budapest/Ungarn geboren. 2016 promovierte sie in der vergleichenden Kulturgeschichte an der Universität Leipzig. Zwischen 2016 und 2020 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Leipziger Diakonissenhaus und erarbeitete neben mehreren Ausstellungen eine Monografie zu dessen Geschichte. Seitdem forscht sie über sexuellen Missbrauch in der evangelischen Kirche, zu Krankenpfleger:innen mit Migrationserfahrung und zur Syphilisbekämpfung im Nachkriegseuropa. Aktuell ist sie am medizinhistorischen Institut der Charité in Berlin tätig. Sie lebt in Leipzig und ist Vorstandsmitglied im Riebeckstraße 63 e.V.
Zum Buch:
Fruzsina Müller: Das Leipziger Diakonissenhaus. Geschichte einer Schwesternschaft und ihres Krankenhauses. Leipzig, Leipziger Universitätsverlag, 2023. 263 Seiten, 32.00 €
Freier Eintritt, barrierefreier Zugang