Liebe Mitglieder der sLAG, liebe Interessierte,
im Juni möchten wir anlässlich aktueller Gedenkdaten einen Blick auf die erinnerungskulturelle Landschaft in unserem Nachbarland Tschechien richten. In diesen Tagen wird bereits zum 80. Mal – u.a. in Prag an verschiedenen Orten – an das tödliche Attentat auf den stellvertretenden „Reichsprotektor“ Reinhard Heydrich und dessen Folgen gedacht. Die tschechoslowakische Exilregierung in London unter Edvard Beneš plante unter dem Namen „Operation Anthropoid“ diesen Anschlag. Das Ziel war es, dem rücksichtslosen Vorgehen Heydrichs seit September 1941 (sogenannte „Heydrichiade“) ein Ende zu setzen und dem Widerstand in den besetzten Gebieten Böhmens und Mährens etwas Auftrieb zu geben. Außerdem wollte die Exilregierung sich als relevanter Partner für die Nachkriegsverhandlungen ins Spiel bringen.
Am 27.5.1942 führten die beiden Fallschirmspringern Josef Gabčík und Jan Kubiš unter Beteiligung weiterer Personen das Attentat aus. Die meisten von ihnen fanden anschließend vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten Zuflucht in der Orthodoxen Kathedrale der Hl. Kyrill und Method in der Prager Neustadt, wo sie – durch Verrat – am 18.6.1942 gefunden wurden und im Laufe der Belagerung starben. In den direkt nach dem Anschlag folgenden vielzähligen grausamen Maßnahmen der Nationalsozialisten gegen die Bevölkerung ließen in den ersten Wochen mehr als 1.000 Menschen ihr Leben – meist ohne Gerichtsverfahren und oft nur wegen Billigung des Attentats.
Am 9. Juni 1942 verließ ein Zug mit 1.000 tschechischen Jüdinnen und Juden mit der Aufschrift „AaH“ (Attentat auf Heydrich) den Bahnhof in Prag-Bubny in Richtung der Konzentrationslager. Am 10. Juni 1942 wurde als eine (willkürliche) Vergeltung das Dorf Lidice (Kreis Kladno) völlig zerstört, die Gebäude dem Erdboden gleichgemacht, alle Männer erschossen und die Frauen und die meisten Kinder in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert – nur wenige überlebten. Gleiches geschah mit dem Dorf Ležáky (Kreis Pardubice) am 24.06.1942, da sich hier ein Teil der Fallschirmjäger zuvor versteckt hatte, um mit der Exilregierung in London in Funkkontakt stehen zu können.
Gerade die Ereignisse um das Dorf Lidice wurden nach Ende des Krieges zum Symbol für die Barbarei und Grausamkeit des NS-Regimes, die dort entstandene Gedenkstätte – immer wieder auch verändert und erweitert – erinnert an diese Ereignisse. Das Dorf selbst wurde nach Kriegsende einige hundert Meter weiter wieder aufgebaut. Ležáky wurde nicht wieder aufgebaut, hier besteht ein kleines Gedenkareal.
Die Erinnerung an das Attentat wurde in der kommunistischen Historiografie nach 1948 stark heruntergespielt – passten doch die im „Westen“, bei der Royal Air Force ausgebildeten Fallschirmspringer nicht in das Narrativ des kommunistischen Widerstandes und der Befreiung durch die Rote Armee. Dafür gerieten diese Ereignisse nach 1989 besonders stark in den Fokus von Erinnerungsaktivitäten und öffentlichen Auseinandersetzungen. Die Handlungen um das Attentat wurden und werden teils zu Heldentaten stilisiert – immerhin handelt es sich um den wohl einzigen erfolgreichen Anschlag auf einen führenden NS-Funktionär. Neben vielfältigen wechselnden Ausstellungen und öffentlichen Debatten existieren seitdem verschiedene weitere feste Erinnerungsformate: seit 1995 gibt es das Nationaldenkmal für die Helden der Heydrichiade in der Krypta der Kirche der HL. Kyrill und Method, seit 2009 in Prag-Libeň das „Denkmal der Operation Anthropoid“. Immer wieder dient das Ereignis, gerade auch zu den runden Jahrestagen, als Vorlage für ein Reenactment. Innerhalb der neuen Medienformaten existieren seit 2016/17 ein Computerspiel „Attentat 1942“, mittlerweile auch auf Deutsch, und eine GeoFUN APP „Operation Anthropoid“. Hier bewegt man sich, angeleitet vom Avatar Jan Kubiš‘, mit dem Handy im Prager Stadtraum auf den Spuren des Attentats. 2021 entstanden als Street-Art-Projekt von Jakub Marek mehrere Wandbilder im öffentlichen Raum Prags, die die Geschichte der Operation Anthropoid in prägnanten Motiven wiedergeben.
Und am mittlerweile stillgelegten Bahnhof Prag-Bubny, dem Bahnhof, von dem aus die jüdischen Bewohner*innen Prags während der NS-Herrschaft deportiert wurden, ist nach vielen Jahren zivilgesellschaftlichen Engagements und Austauschs sowie einem Architekturwettbewerb nun gemeinsam mit den örtlichen Behörden ein Gedenkort mit pädagogischem Programm in der Entstehung.
Mit diesem kleinen Blick wollen wir Sie und euch dazu einladen in den kommenden Tagen vielleicht einen „virtuellen“ Blick über die Landesgrenzen zu wagen und diversen Formen der Erinnerungsarbeit im Nachbarland nachzuspüren und sie zu diskutieren.
Mit herzlichen Grüßen
Tobias Kley für den Sprecher*innenrat
Zwei Dienstreisen liegen im April / Mai hinter uns. Am 25.04. trafen wir uns mit Anna Schüller (sLAG-Sprecherin / Geschichtswerkstatt Sachsenburg) an der TU in Chemnitz zur Vorbereitung des Symposiums „Orte von Belang“ (→ Rückblick „Orte von Belang. Symposium zum Umgang mit NS-Tat-und Täterorten am Beispiel Sachsenburgs“), am 18.05. ging es in Vorbereitung des Erinnnerungspolitischen Fachtags (24.09.2022) nach Dresden. Auch dort wird unsere Veranstaltung in Kooperation mit der TU stattfinden.
Neben der Veranstaltungsplanung befinden wir uns momentan mitten in der Antragsphase für die Fördermittel in den kommenden Jahren. Unsere Förderung über das Landesprogramm „Weltoffenes Sachsen“ läuft aus. Mit einem Folgeantrag wollen wir unsere Strukturen festigen und weitere Projekte mit euch anschieben. Wie es bei uns nach 2022 weitergehen wird und was wir vorhaben, wird in der zweiten Jahreshälfte Thema sein.
Im Mai gab es zwei bundesweite Veranstaltungen, an denen wir beteiligt waren. Zur Tagung „Gedenkstättengeschichte(n). KZ-Gedenkstätten in postnationalsozialistischen Gesellschaften von 1945 bis heute – Bestandsaufnahme und Perspektiven“ moderierte Jonas Kühne zusammen mit Isabel Panek (Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig) das Panel „Nur eine ‚Nachgeschichte‘? Gedenkstättengeschichte in der Ausstellungs- und Vermittlungsarbeit“. Die Veranstaltung fand vom 12.-14.05.2022 an der KZ-Gedenkstätte Neuengamme statt. In diesem Zusammenhang hat das Online-Magazin „Lernen aus der Geschichte“ ein sehr lesenswertes Themenheft herausgegeben, welches wir euch empfehlen möchten.
Außerdem fand am 23.05.2022 eine Mitgliederversammlung des Verbandes der Gedenkstätten in Deutschland / FORUM (VGDF) in Hannover statt. Auf der wurde das Bundesprogramm „Jugend erinnert“ resümiert und das Positionspapier des Verbandes zur Neuausrichtung der bundesweiten Gedenkstättenförderung diskutiert.
Schon gedruckt und derzeit noch auf dem Postweg zu uns ist der aktualisierte Flyer, mit dem wir unser Netzwerk vorstellen. Schreibt uns gern, wenn wir euch gedruckte Exemplare zuschicken können, online ist der Flyer auch als pdf zu haben.
Es grüßen Jane Wegewitz und Jonas Kühne
sLAG-Service- und Beratungsstelle
Unserer erste große Veranstaltung des Jahres in Kooperation mit der Geschichtswerkstatt Sachsenburg fand am 21.05.2022 statt. Mehr als 50 Interessierte, Engagierte aus dem Netzwerk und Umfeld der sLAG, Mitarbeiter*innen von Gedenkstätten und Universitäten und nicht zuletzt am Wettbewerb zur sogenannten „Kommandantenvilla“ in Sachsenburg beteiligte Architekt*innen hatten sich angemeldet, mit knapp 50 dann tatsächlich Anwesenden war das Symposium gut besucht und besetzt. Ausgehend von dem 2020/’21 durch die Stadt Frankenberg durchgeführten und vielfach in seinen Ergebnissen umstrittenen Ideenwettbewerb zur „Kommandantenvilla“ auf dem Gelände des KZ Sachsenburg (1933-1937) befasste sich das Symposium mit daraus folgenden übergeordneten Fragen des Umgangs mit NS-Tat- und Täterorten. Einen Rückblick haben wir online gestellt.
Nachdem am 19. Mai das ehemalige Pförtnerhäuschen der städtischen Arbeitsanstalt feierlich eröffnet wurde, gibt es ab dem 02.06.2022 wöchentliche Öffnungszeiten: jeden Donnerstag, von 14-17 Uhr, sind Mitglieder des Vereins vor Ort anzutreffen. Weitere Informationen zum Verein und seinen Aktivitäten gibt es unter https://riebeckstrasse63.de/.
Das 17. Landestreffen des Netzwerks Tolerantes Sachsen (11.06.) findet gemeinsam mit dem Fachtag „Politische Bildung und Kritik“ (10.06.) im Chemnitzer Weltecho statt, die sLAG ist dort an beiden Tagen vertreten und freut sich auf den Austausch.
Der diesjährige Sachsenburger Dialog möchte Aspekte der Erinnerungskultur in unterschiedlichen Zeitschichten thematisieren. In Vorträgen und Diskussionen sind die Teilnehmer*innen eingeladen, sich mit dem öffentlichen, eigenen und familiären Umgang mit der Geschichte des Konzentrationslagers während der DDR-Zeit und nach 1990 auseinanderzusetzen. Der Blick in die Geschichte lässt danach fragen, wie sich Gedenken und Erinnern heute und zukünftig gestaltet, was es leisten muss und was dies für die individuelle Verantwortung bedeutet.
Die Veranstaltung findet im Kommunikations- und Dokumentationszentrum der Gedenkstätte KZ Sachsenburg (An der Zschopau 1, 09669 Frankenberg) statt. Weitere Informationen und das Programm sind unter www.gedenkstaette-sachsenburg.de abrufbar.
Der Verein Meetingpoint Memory Messiaen in Görlitz lädt in Kooperation mit der Stiftung Erinnerung, Bildung, Kultur in Zgorzelec (Polen) zur Teilnahme am deutsch-polnischen Lehrer*innen- und Multiplikator*innen-Workshop „Geschichte begreifen“ zu Gedenkstättenbesuchen als Ergänzung zum Unterricht ein. Der Workshop findet am 14.06.2022 (Dienstag) ab 9:30 Uhr im Europäischen Zentrum Erinnerung, Bildung, Kultur in Zgorzelec (Gedenkstätte Stalag VIII A) statt. Anmeldungen sind bis zum 07.06.2022 möglich, alle Informationen zum Workshop sind unter https://www.meetingpoint-memory-messiaen.eu/deutsch-polnischer-workshop-geschichte-begreifen/ nachzulesen.
Das Erich-Zeigner-Haus in Leipzig lädt ein zur Fachtagung „Antisemitismus – Aktuelle Erscheinungsformen, Akteure und Prävention“. Das kostenfreie Fortbildungsangebot wird durch die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung im Programm Auf!leben gefördert und richtet sich an Multiplikator*innen, Lehrkräfte, Sozialarbeiter*innen und Interessierte aus ganz Sachsen.
Weiterführende Informationen zum Erich-Zeigner-Haus e.V. und zur Fachtagung sind unter https://erich-zeigner-haus-ev.de/ veröffentlicht.
„Verunsichernde Orte“ ist ein Weiterbildungskonzept des Fritz Bauer Instituts für Menschen, die in Gedenkstätten haupt- und ehrenamtlich pädagogisch tätig sind, z.B. bei Rundgängen und Workshops. Das Seminar bietet die Möglichkeit, durch speziell entwickelte Methoden die eigene Rolle, das eigene Handeln und den Umgang mit verschiedenen Gruppen in Gedenkstätten im gemeinsamen Austausch zu reflektieren. Weitere Informationen sind unter: https://www.fritz-bauer-institut.de/verunsichernde-orte abrufbar.
Das Seminar für max. 17 Personen konnte die Geschichtswerkstatt Sachsenburg mit Unterstützung der Brücke/Most-Stiftung und der Bundeszentrale für politische Bildung nach Sachsenburg holen. Es wird von Gottfried Kößler und Christian Geißler geleitet. Einige Plätze sind noch frei, Anmeldungen sind bis zum 22.06.2022 per E-Mail an info@geschichtswerkstatt-sachsenburg.de möglich.
Wir gratulieren dem Kulturbüro Sachsen zum 21. Geburtstag, der im Gegensatz zum runden 20. 2021 im Juni dieses Jahres nun auch gefeiert werden kann – wir wünschen viel Freude und viele weitere gesunde Jahre voller Energie und Tatendrang!
Im April und Mai hatten wir in den Speed Meetings Dr. Michael Strobel, Referatsleiter Inventarisation / Dokumentation beim Landesamt für Archäologie, zu Gast (27.04.) sowie Frederik Schetter und Florian Zabransky von der Bundeszentrale für politische Bildung / Arbeitsbereich Erinnerungskultur, Antisemitismus und Gedenkstätten (25.05.).
Am 29.06.2022 möchten wir mit euch auf die Jahresplanung für 2023 schauen und uns mit euch zu Vorhaben austauschen, z.B. zu den Jahrestagen der NS-Machtergreifung und der Bücherverbrennungen. Wir freuen uns, wenn ihr zahlreich daran teilnehmt, damit wir eine möglichst breite Beteiligung und landesweite Sichtbarkeit des Netzwerks und seiner Mitglieder herstellen können. Achtung: Das Speed-Meeting findet 17 Uhr statt!
Unsere Arbeit braucht Unterstützung!
Wir freuen uns über neue Fördermitglieder, die uns mit Ihrem Beitrag bei der Finanzierung von Jahresprogrammen unterstützen sowie jede Spende an
Förderverein der sLAG
IBAN: DE03 8605 5592 1090 2278 72
BIC: WELADE8LXXX
Sparkasse Leipzig
Seit Dezember ist auch der Kauf einer Grafik aus der Edition „Blätter der Erinnerung“ eine Möglichkeit, uns zu unterstützen.
Die Grafik des ersten Blattes, ein Fünffarbensiebdruck mit dem Titel „Seht ihr? Sie marschieren wieder“, stammt von Frank Hiller und ist limitiert auf 25 Stück. Eine kleine Broschüre mit Informationen zum Preis und Erwerb ist unter https://slag-aus-ns.de/mitteilungen/grafikedition-2021/ abrufbar.
Unser nächster Newsletter erscheint Ende September. Bis dahin veröffentlichen wir Termine, Mitteilungen und Kurznachrichten wie gewohnt unter www.slag-aus-ns.de, bei Facebook und Twitter.
29.06.2022, 17:00 Uhr
sLAG-Speed-Meeting (nur für Mitglieder), Thema: Jahresplanung 2023
11.06.2022
17. Landestreffen des Netzwerks Tolerantes Sachsen, Chemnitz
11.-12.06.2022
„Sachsenburger Dialog – Erinnern gestern – heute – morgen“, Gedenkstätte KZ Sachsenburg, Kommunikations- und Dokumentationszentrum, Frankenberg
14.06.2022
Deutsch-polnischer Workshop „Geschichte begreifen“, Europäisches Zentrum Erinnerung, Bildung, Kultur (Gedenkstätte Stalag VIIIA, Zgorzelec)
14.-15.06.2022
Fachtagung „Antisemitismus – Aktuelle Erscheinungsformen, Akteure und Prävention“ des Erich-Zeigner-Haus e.V., Leipzig
08.-10.07.2022
Verunsichernde Orte (Workshop), Sachsenburg
23.09.2022
Redaktionsschluss Newsletter September
24.09.2022, 09:00-20:00 Uhr
Erinnerungspolitischer Fachtag „Diverse Geschichte(n)? Erinnerungskulturen Ost und Migrationsgesellschaft“, Dresden, Technische Universität
25.11.2022
Landesweites Arbeitstreffen der sLAG (LAT), Dresden
2022
Über Bildungsfahrten 2022 informiert das Herbert-Wehner-Bildungswerk unter https://wehnerwerk.de/aktuell/.
Bis zum 31.07.2022
Im Kulturzentrum Villa Facius in Lugau ist noch bis zum 31.07.2022 „Ein Leben in Büchern – Salman Schocken“ zu sehen, eine Ausstellung mit Vorträgen im Begleitprogramm.
Bis zum 30.09.2022
Bis zum 30.09.2022 ist in der Kulturkiste in Pirna die Hohenstein-Ausstellung zu besichtigen, weitere Infos und weitere Termine unter www.akubiz.de.
Bis zum 31.10.2022
Bis zum 31.10.2022 verlängert ist die Ausstellung DINGE UNSERER NACHBARN … GEBORGEN. Funde aus dem Kriegsgefangenenlager Zeithain. Ausstellungsort: Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain, Zum Ehrenhain 1, 01619 Zeithain (Mo–Do 10–16 Uhr / Fr 10–14 Uhr / Sa, So und feiertags 10–16 Uhr), weitere Infos: zeitFORMEN
Bis zum 31.12.2022
Verlängert bis zum 31.12.2022 ist „Rethinking Stadtgeschichte: Perspektiven jüdischer Geschichten und Gegenwarten“, eine Intervention in der Dauerausstellung des Stadtmuseums Dresden, die Besucher*innen dazu einlädt, unterschiedliche Dimensionen des Jüdischen zu erkunden. Lesenswert ist auch die begleitende Blog-Reihe, die u.a. die Diskussion um ein „Jüdisches Museum“ in Sachsen aufgreift.