Historische Forschung ist kein Selbstzweck, sondern braucht einen Resonanzraum, um ihre Erkenntnisse an die interessierte Öffentlichkeit zu vermitteln und somit wirksam zu werden. Zivilgesellschaftliche Initiativen und Gedenkstätten sind wichtige Partner*innen für uns Historiker*innen. Sie bieten Gelegenheiten zur Diskussion unserer wissenschaftlichen Arbeit und zum Austausch über deren Konsequenzen.
Zugleich ist die Forschung auf die Arbeit der zivilgesellschaftlichen Akteur*innen angewiesen. Zentrale Quellenbestände – wie etwa Berichte von Überlebenden der NS-Verbrechen – wurden in der Regel zunächst nicht staatlich archiviert, sondern von Verbänden und Vereinen gesammelt. Geschichtswerkstätten ist es oftmals zu verdanken, dass materielle Überreste von Verbrechensorten – wie den zahlreichen KZ-Außenlagern – als steinerne Zeugnisse überhaupt gesichert und erschlossen wurden. Nicht universitäre Lehrstühle, sondern engagierte Aktivist*innen waren häufig die ersten, die sich nationalsozialistischer Verbrechen „vor der Haustür“ annahmen.
Die Arbeit an der Erinnerung beruht zu großen Teilen auf Partizipation und ehrenamtlichem Engagement. Das ist eine große Stärke und hat erhebliches demokratisches Potenzial. Doch diese Arbeit kann nicht nur „nebenher“ gemacht werden. Engagement braucht immer auch Strukturen. Öffentliche finanzielle Unterstützung ist von den Initiativen hart erkämpft worden. In den alten Bundesländern galten sie jahrzehntelang als „Nestbeschmutzer“. In Sachsen waren sie lange mit einer dominanten totalitarismustheoretischen Perspektive auf Zeitgeschichte konfrontiert, welche die kritische Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit eher stiefmütterlich behandelt hat.
Jetzt, Anfang des Jahres 2025, 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, zeigt sich eine paradoxe Situation: Einerseits werden Gedenkstätten und zivilgesellschaftliche Initiativen zur Erinnerungsarbeit öffentlich gelobt und stellen für manche gar die letzten Retter*innen demokratischen Bewusstseins dar – man denke nur an die Rufe nach „Pflichtbesuchen“ von Schüler*innen an Orten von NS-Verbrechen. Andererseits gelten offenbar ausgerechnet Projekte der historisch-politischen Bildung und des Gedenkens bei Entscheidungen über finanzielle Einsparungen als verzichtbar. Nicht zuletzt stehen NGOs, die problematische politische Entwicklungen auch im Rückgriff auf historische Erfahrungen öffentlich kritisieren, unter erheblichem Beschuss von Rechtspopulist*innen.
Die derzeitige prekäre Lage, in die viele Initiativen in Sachsen durch die vorläufige Haushaltsführung und durch drohende Kürzungen gebracht werden, ist fatal. Gedenkstätten und andere zivilgesellschaftliche Erinnerungsakteur*innen erfüllen vielfältige Aufgaben. Sie dokumentieren und musealisieren. Sie sammeln, forschen und vermitteln. Sie sind wichtige Ansprechpartner*innen für Überlebende und ihre Angehörigen – sowie für eine interessierte Öffentlichkeit und die Wissenschaft. Diese Strukturen müssen erhalten bleiben und gestärkt werden. Sie sind #demokratierelevant.
Dr. Martin Clemens Winter
Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Alfred Landecker Lecturer am Historischen Seminar der Universität Leipzig,
Mitglied der sLAG