Neonazis wählen – Ein Beitrag zur Kommunalwahl 2024 in Sachsen

28.06.2024

Sehr typisch für eine an Personen orientierte Wahl ist der Umstand, dass wenige Bewerber*innen einen großen Teil der Stimmen auf sich vereinten, die Masse der Kandidat*innen dagegen eher unterdurchschnittlich abschnitt. Bei der AfD trieb dieser Umstand ganz eigene Blüten. Etwa wenn ein Sebastian Wippel, aktuell AfD-Landtagsabgeordneter für den Landkreis Görlitz, bei der Wahl zum Görlitzer Gemeinderat knapp 23.000 Stimmen auf sich vereint und die restlichen 13 Kandidat*innen seiner Partei zusammen auf 5.500 Stimmen kommen. Dank ihres prominenten Frontmannes sitzen nun ein paar Menschen im Stadtrat, die keine 200 Stimmen erhalten haben, während Kandidierende anderer Parteien mit mehr als dreifach oder doppelt so vielen Stimmen außen vor bleiben.

 

Abgesehen von diesen kommunalpolitischen Verzerrungen des Wähler*innenwillens sollte uns mit Blick auf die zur Wahl gestellten Personen ein anderer Aspekt mehr Sorgen bereiten. Der ausgebliebene Stimmenverlust nach der Einstufung der sächsischen AfD als „gesichert rechtsextrem“ durch das Landesamt für Verfassungsschutz im Dezember 2023 untermauert die Annahme, dass die Wähler*innen sie nicht trotz, sondern wegen ihrer antidemokratischen Inhalte wählen. Der oben beschriebene Wahlerfolg eines Sebastian Wippel kann hier als illustrierendes Beispiel dienen.

 

In Bezug auf revisionistische Positionen zur Geschichte des Nationalsozialismus weist die AfD zwar jede Schuld von sich. Landesparteichef der AfD in Sachsen, Jörg Urban ist hier ein prominentes Beispiel. In entsprechenden Äußerungen seines intimen Parteifreundes Höcke oder eines Alexander Gauland könne er keinen Geschichtsrevisionismus erkennen. Jedoch konnten bei der Wahl nun Menschen Erfolge erzielen, die nachweislich ein betont unkritisches Verhältnis zum Nationalsozialismus haben oder gar offen mit diesem sympathisieren.

 

Im Landkreis Görlitz steht zum Beispiel ein Peter Hild (AfD) für den Gemeinderat von Mittelherwigsdorf zur Wahl, der in verschiedenen Publikationen juristische Verfolgung von Nazi-Kriegsverbrechern als politisch motiviert verurteilt, die Waffen-SS als regulär kämpfende oder gar als „Elite-Truppe“ bezeichnete und als Vorkämpfer einer „antikommunistischen Vereinigung Europas“ darstellte. Die revisionistische Spur zieht sich seit den 1990er Jahren durch sein Schaffen. Als wissenschaftlicher Leiter der Gedächtnisstätte e.V. in Borna war er an der Vermittlung entsprechender Inhalte beteiligt. Nach seinem Umzug in die südliche Oberlausitz sprach er im Februar 2022 auf einer Montagskundgebung in Zittau über die Kontinuität des Kampfes gegen den Sowjetkommunismus vom nationalsozialistischen Vernichtungskrieg über die Friedliche Revolution hinweg bis zu den Protesten gegen die Bundespolitik heute.

 

Im Landkreis Bautzen trat mit Benjamin Moses ein Propagandist extrem rechter Jugend- und Gegenkultur zur Kreistagswahl an und erreichte mit fast 900 Stimmen in seinem Wahlkreis das beste und unter den im ganzen Landkreis angetretenen Kandidaten der Freien Sachsen immer noch das drittbeste Ergebnis. Als Kopf der bemüht jugendlichen Gruppierung „Balaclava Graphics“, die sich in der bundesdeutschen und europäischen extremen Rechten vor allem durch ihre hochwertige Medienarbeit etabliert, zeichnet Moses auch dafür verantwortlich, dass in ihren Kanälen SS-Offiziere gewürdigt werden. Ihr inzwischen unter rechten Jugendlichen durchaus beliebtes Label „The White Race“ steht für den offenen Anschluss an die völkische Ideologie der Nazis. In seinem Podcast achtet Moses stets sehr genau darauf, die Grenze zu strafrechtlich relevanten Äußerungen nicht zu überschreiten, wenn ihm sein Co-Host Patrick Schröder vom FSN Medienportal aus der Oberpfalz Fragen nach seiner Meinung zum Nationalsozialismus stellt. Die Anspielungen sprechen für sich, wie auch das Akronym FSN leicht als neo-nationalsozialistischer Slogan „Frei, Sozial und National“ zu entziffern und seitens des Betreibers mit dem Untertitel „Hören macht frei“ unterschrieben ist. Moses und seine Kameraden sind seit längerem auch beim jährlichen Gedenkmarsch um den 13. Februar in Dresden zu einer festen Instanz geworden und bestens in die geschichtsrevisionistische Szene vernetzt – wie einer Sonderfolge des Balaclava-Podcasts zum Thema zu entnehmen ist.

 

Andernorts in Sachsen sieht es nicht besser aus. In Chemnitz ist ebenfalls für die Freien Sachsen der gute Freund des Bautzener Neo-Nazis Moses und ebenfalls einschlägig bekannte Yves Rahmel angetreten. Rahmel führt mit dem Label PC-Records heute einen der größten extrem rechten Vertriebe in Deutschland. Unter den Musikern, die sein Label vertreibt, findet sich auch eine Band, die die Morde des Nationalsozialistischen Untergrundes verherrlicht. Zwischen Rahmels Umfeld und dem des NSU bestanden zumindest indirekt Kontakte, besser sind seine Verbindungen zum inzwischen verbotenen Blood&Honour-Netzwerk, dessen Zweck es war, nationalsozialistische Ideologie zu verbreiten. Rahmel gelang der Einzug in den Stadtrat nicht. Das lag aber auch daran, dass andere Kandidaten der Freien Sachsen besser abschnitten, wie etwa Robert Andres, der die Aufmerksamkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz auf sich zog, weil er den Nationalen Sozialisten Chemnitz (NSC), einer Kameradschaft in Chemnitz, angehörte. Mit dem Kopf der NSC organisierte Andres im Umland von Chemnitz Zeitzeug*innenvorträge, bei denen unter anderem Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck auftrat.

 

Neben der inzwischen zur Altpartei konsolidierten AfD, die völkisch-nationalistische Politik im halbwegs modernen Gewand propagiert, hat sich mit den offen nationalsozialistischen Kameraden in den Reihen der Freien Sachsen auf dem gesamten Gebiet eine neue (geschichts-)revisionistische Kraft etabliert, die stellenweise aus dem Stand zweistellige Ergebnisse einfahren konnte. In Lößnitz im Erzgebirge waren es 19, in Lunzenau bei Chemnitz 17, in Trebsen 16,6 oder in Bannewitz 15,6 Prozent – wobei in diesen Orten die AfD nicht antrat. In den Wahlen zu den Kreistagen blieben die Freien Sachsen zwar überall unter 5 Prozent, erhielten aber insgesamt über 100 Mandate. Trotz rechter Konkurrenz konnten die AfD und die Freien Sachsen in Aue, Herrnhut, Heidenau gemeinsam zwischen 25 und 40 Prozent einfahren. Nimmt man zudem die Diskursverschiebung der letzten Jahre und die wachsenden antidemokratischen Tendenzen in anderen Parteien ernst, muss das Fazit lauten: Das demokratische „Wir sind mehr!“ gilt in Sachsen vielerorts nicht mehr.

 

Felix Pankonin (sLAG-Sprecher, Netzwerkstatt Hillersche Villa, Zittau)