Mitschnitt des Vortrags „Die Feuerwehr stand dabei und sah zu“. Die Novemberpogrome in Dresden 1938

08.11.2023

 

Daniel Ristau präsentierte am 2. November 2023 im Zentralwerk seine historische Forschung zu den Novemberpogromen von 1938. Mit detektivischer Akribie kombiniert der Historiker die Puzzlestücke seiner Recherchen: Fotografien, Stadtpläne, Zeitungsberichte aus der Zeit und Zeitzeugenberichte. Er entziffert Details aus den Quellen und rekonstruiert dabei den Ablauf der Ereignisse in Dresden, Chemnitz, Leipzig, Görlitz und anderen Orten, deren bekannteste Konsequenz in den Großstädten meist die Brandschatzung der Synagogen war. Durch die Wiedergabe seiner kombinatorischen Arbeit mit zahlreichen Hinweisen und Hintergründen gibt er dem Publikum einen Einblick in den Verlauf historiografischer Forschung. Wir erfahren den Auslöser des politisch festgelegten Ausnahmezustandes, der in Deutschland herrschte: die Ermordung eines deutschen Diplomaten in Paris durch einen verzweifelten Siebzehnjährigen, dessen Familie als jüdisch verfolgt und im Rahmen der „Polenaktion“ ausgewiesen worden war. Dies war der Anlass, doch neu war die Gewalt im Jahr 1938 nicht, wie Daniel Ristau am Beispiel der Übergriffe auf Verfolgte nach dem „Anschluss“ von Österreich an das Deutsche Reich im März und April sowie der „Juni-Aktion“ im selben Jahr zeigt. Zudem waren die Übergriffe in Sachsen am 10. November 1938 noch nicht vorbei, nachdem Propagandaminister Joseph Goebbels die Einstellung der offenen Gewalt anordnete. Sie zogen sich noch bis zum Folgetag hin, wobei noch am Abend des 10. Novembers in der Görlitzer Synagoge Feuer gelegt wurde, das aber – vielleicht gerade wegen des verordneten Endes des Pogroms – von der Feuerwehr gelöscht wurde.

 

Den Historiker treibt der genaue Blick auf die Quellen an: Geschahen die Taten wirklich nachts, wie es der Begriff von der „Pogromnacht“ suggeriert, oder eben auch tagsüber, vor aller Augen? Durch die intensive Betrachtung von Fotografien, findet er Hinweise nicht nur zu dieser Frage, sondern auch dafür, wie die Menschen zu den Taten standen. Wer waren die Opfer, wer die Täter? Nicht alle als „jüdisch“ nach den pseudowissenschaftlichen Kriterien der nationalsozialistischen Rassedoktrin Verfolgten verstanden sich als Jüdinnen und Juden, wurden aufgrund ihrer Herkunft aber gleichwohl als solche verfolgt. Und: Nicht alle, die der Zerstörung der Geschäfte skeptisch gegenüber standen, dachten an die verfolgten Menschen, sondern vielfach zuerst an die Vergeudung von Waren und materiellen Werten. Haben die Passant*innen es einfach geschehen lassen oder standen sie hinter den Taten? Um die Rolle der verschiedenen Akteur*innen besser nachzuvollziehen, stellt er diese und anderen Fragen. Welche Aufgaben, Vorgaben, welche Neugierde oder Motivation standen hinter ihrem Verhalten? Und, das ist der Fokus des Vortrags, der sich bereits im Titel widerspiegelt: Welche Rolle spielte die Feuerwehr? Warum schaute sie mehr oder weniger nur zu? Für Leipzig ist bekannt, dass sie zunächst zu brennenden Synagogen eilte, dann aber beim Löschen angefeindet und behindert wurde, schließlich auch nach offizieller Anweisung das Löschen einstellen und sich auf den Schutz umliegender Gebäude beschränken musste. Ristau findet auch für Dresden zahlreiche Indizien, die auch hier für einen ähnlichen Verlauf sprechen. In der öffentlichen Wahrnehmung stand die Feuerwehr jedenfalls nur dabei und schaute zu, war durch die Abnahme der beiden Davidsterne von den beiden Türmen der Synagogenruine sogar aktiv an der Herabsetzung der als Juden Verfolgten beteiligt – und gleichzeitig waren es Feuerwehrmänner, die einen der beiden Sterne über den Zweiten Weltkrieg versteckten und ihn an die Jüdische Gemeinde zurückgaben, wo er seit 2001 den Eingangsbereich der Neuen Synagoge am Hasenberg ziert.

 

Abnahme eines Davidsterns von der Ruine der Dresdner Synagoge, 10.11.1938 (Archiv der Jüdischen Gemeinde zu Dresden)

 

Am Ende des Vortrags verkündet Ristau: die Arbeit ist noch lange nicht beendet, viele Fragen, gerade auch für Dresden sind noch offen, manche noch gar nicht gestellt. Weiteres Forschen tut also Not, wenn man den Komplexitäten der historischen Ereignissen gerecht werden will. Zusammenfassend ließe sind nun sagen: Vereinfachung ist der Ursprung von Hass, der Hass der Oberflächlichkeit. Dieser Vortrag ist eine Anleitung zum kritischen Bewusstsein – und deshalb sehr empfehlenswert.

 

Text: Barbara Lubich, Zentralwerk

 

Der Abendvortrag wurde organisiert von der sächsischen Landesarbeitsgemeinschaft Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus (sLAG) und dem Zentralwerk Dresden.